Die Arbeit verrichten

Wenn du versuchst, eine regelmäßige Praxis für dich allein zu etablieren, bedenke bitte, dass im Falle von Qi Gong eine „Routine“ nicht unbedingt der beste Ansatz ist.

Man sollte nicht jeden Tag alles auf die gleiche Art und Weise machen, nur um des Machens willen und um es erledigt zu haben. Anders wäre es, wenn du es jedes Mal so angehst, als wäre es das erste Mal. Das ist eine wirklich gute Einstellung: der “Beginner’s Mind“. 

Versuche genau hinzuschauen:  Wie gehe ich heute vor? Wie fange ich an? Wie höre ich auf? Was liegt dazwischen? 

Das Ziel besteht darin, die Arbeit (Gong) zu verrichten, den Job zu erledigen – nicht darin, Übungen zu machen. Darin liegt ein großer Unterschied.

Die Bedeutung von Qualität in der Praxis

Alleine zu üben ist für die meisten Menschen eine ziemliche Leistung, und wir würden uns beglückwünschen und sagen: „Ich habe heute Übungen gemacht, das ist gut, das sollte ich öfters machen“. Aber es ist auch ein bisschen traurig, weil man eigentlich gar nicht üben muss. Es steht zwar in deinem Terminkalender, aber wie gesagt, solltest du nicht einfach nur trainieren, sondern auch die Arbeit erledigen. Es ist wie mit Kindern: Man sagt ihnen, sie sollen staubsaugen, aber das Zimmer ist danach immer noch schmutzig. Ich würde denken, dass sie nicht gesaugt haben, aber die Kinder sagen: „Aber ich habe doch Staub gesaugt, ich habe gesaugt!”. Es geht nicht darum, dass man staubsaugt, sondern dass es sauber ist. 

Es geht nicht darum, die Übung zu machen, sondern darum, eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Ergebnisse zu erzielen. Wenn du die Ergebnisse erzielen kannst, ohne zu trainieren – gut für dich. Aber wenn du trainierst und die Arbeit immer noch nicht erledigt ist, musst du die Arbeit immer noch trotzdem erledigen. Wenn du staub gesaugt hast und es ist immer noch schmutzig, musst du immer noch putzen. Der Staubsauger sollte dir helfen, den Boden zu reinigen, und die Übung sollte dir helfen, die Arbeit zu erledigen. Wenn du zu Hause übst, denke bitte daran: „Mache ich nur eine Übung oder erfülle ich eine Aufgabe? Gibt es ein Ziel? Und ist die Aufgabe danach erledigt? Zumindest für heute? Oder läuft es auf Folgendes hinaus: ‚Ich habe die Übung gemacht und das ist gut. Dann fühlst du dich vielleicht besser, aber du musst die Arbeit trotzdem noch machen!

Formen und Abläufe helfen

Was mir als gutes Beispiel in den Sinn kommt, ist der Prozess des Absinkens des Qi in der stehenden Praxis. Wir fangen oben an, gehen durch den Kopf nach unten und dann weiter durch den Hals, den Thorax-Einlass, dann durch die Brust, den ganzen Weg nach unten. Man lässt das Qi vom oberen Teil des Kopfes zum unteren Dantien sinken, das ist die grundlegende Aufgabe – das ist die allgemeine Richtung. Meistens, wenn man das Sinken durch die ganze Länge des Körpers macht im Stehen, sagt man einfach: Ok, der Kopf, der Hals – man geht nicht ins Detail, wahrscheinlich nicht als Anfänger. Aber wenn du Schwierigkeiten hast, die Arbeit zu erledigen, oder wenn du erfolgreicher üben möchtest, dann schau genauer hin, während du die Abschnitte durchgehst: du benennst die Strukturen des Körpers, du gehst Schritt für Schritt vorwärts, sehr sorgfältig, du fügst alles hinzu, was du auf einer Ebene gemacht hast und nimmst es weiter hinunter zur nächsten Ebene.

Es ist ein Prozess, der mich an eine bestimmte Praxis in einem Zen-Kloster erinnert, in dem ich war. Im Kloster muss man immer einen gewissen Anteil an körperlicher Arbeit leisten, die vielleicht die Qi Gong-Praxis von früher ersetzt hat. Es gab verschiedene Aufgaben, und eine davon war, dass man in der Meditationshalle Staub kehren musste. Es war eine sehr große Halle, und wie es in der Zen-Tradition üblich ist, war es ein Ritual, also musste man es auf eine bestimmte Weise tun. Man durfte nicht einfach nur hier und da ein bisschen kehren – das wäre zu einfach gewesen. Man musste von einer Ecke ausgehend, an der Wand entlang, in parallelen Abschnitten zur Mitte der Halle kehren. In parallelen Abschnitten, die zur Mitte des Flurs führen, so dass in der Mitte ein kleiner Gang entsteht, dann von der gegenüberliegenden Wand aus in den entsprechenden Abschnitten und dann alles in der Mitte sammeln und aus dem Raum fegen.

Beim Absinken des Qi wird genauso vorgegangen. Du hast alle Abschnitte, sammelst alles ein, was sich dort befindet, und dann geht alles runter. Auf diese Weise übersiehst du nichts, und sagst nicht: „…aber ich habe doch gekehrt!“ Es ist alles schmutzig, aber hey, ich habe gekehrt!‘ Die Anleitung, die Form, hilft dir, bewusst zu sein – denn schließlich ist es eine Bewusstseinsübung. Du kannst nicht einfach sagen: „Ok, ich habe es 20 Mal gemacht, ich bin sehr müde” – du kannst sehr müde sein und trotzdem nichts geputzt haben. Nur weil man müde ist, heißt das noch lange nichts. Du kannst den ganzen Tag den Besen schwingen, du kannst sehr müde sein und hast trotzdem nichts getan. In der Stillen Praxis ist der Anfang und das Ende von allem, das, wovon sie lebt und stirbt, dein Gewahrsein.

Kontinuität der Konzentration

Für den modernen Menschen ist es nicht leicht, die Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten, weil unser Geist so abgelenkt ist. Es ist die typischste Situation: Du weißt, dass du diesen Raum kehren sollst, bist aber nicht anwesend(präsent). Also fängt man an zu kehren und ist dann nicht mehr präsent. Du kommst zurück und kehrst weiter. Dann bist du weg. Dann fängst du dich wieder und kehrst weiter – es gibt also ein paar saubere Stellen -, aber dann lässt du es wieder sein. Man tut aktiv etwas, was einen verbinden und im Moment halten sollte, aber der Geist ist so abgelenkt, dass man selbst mit dem Besen in der Hand, der den Boden fegt, immer noch abschweifen kann.  Man kann nur glücklich sein, wenn man ihn sich nicht in die Augen sticht – und selbst das kann gelegentlich passieren. 

Nun: Wenn du innere Arbeit machst, bei der du einfach nur sitzt, arbeitest du an den subtileren Ebenen der Existenz. Es ist nicht das Reinigen des Zendos oder deines Hauses – es ist das Reinigen deines „inneren Hauses“, also sehr subtile Arbeit. Deshalb braucht es eine gewisse Übung, um konzentriert zu bleiben, um bei der Sache zu sein und sich nicht ständig ablenken zu lassen. 

Ständige Veränderung und kontinuierliches Wachstum

Einige der wichtigsten Prinzipien in unserer Praxis sind die des ständigen Wandels und wie sich das Ergebnis der Arbeit immer weiter summiert. Die Konstante in einem sich ständig verändernden Umfeld.  

In unseren Retreats praktizieren einige der Teilnehmenden schon seit vielen Jahren. Das können wir an der Qualität ihrer Praxis spüren. Da wir uns seit vielen Jahren regelmäßig treffen, vergeht viel Zeit, vieles hat sich gewandelt, es hat Veränderungen gegeben. Dennoch scheint es eine Konstante zu geben, denn wir nehmen die Arbeit einfach auf und machen weiter. Das ist sehr schön zu sehen. Es ist tatsächlich ein lebendiges Beispiel für (be)ständigen Wandel. Und dafür muss man arbeiten, und das ist nicht einfach. Kannst du nach Hause gehen, ein Jahr verbringen, zurückkommen und die Arbeit fortsetzen? Das ist sehr wichtig, denn um die Arbeit zu erledigen, braucht man sehr viel Zeit. Kontinuität und Ausdauer sind entscheidend, um es überhaupt zu schaffen.

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